Über das Zeller Torhaus

Im Herbst 1998 hat die russische orthodoxe Kirchengemeinde „Zur Verkündigung an die Allhl. Gottesgebärerin“ in einem denkmalgeschützten Gebäude, das von der Bayerischen Seen- und Schlösserverwaltung betreut wird, ein Domizil gefunden, das zwar nicht als Kirche erbaut ist, kirchlichen Bedürfnissen aber dennoch bestens gerecht wird: das sog. ehemalige Zeller Torhaus. Es wurde 1824 vollendet und gehört somit zu den ältesten Gebäuden, die von der Berliner Eparchie des Moskauer Patriarchats derzeit genutzt werden. Nach umfangreichen Renovierungsarbeiten durch die Gemeinde wurde das Gebäude im September 1999 im Rahmen des „Tages des offenen Denkmals“ der Stadt Würzburg einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt. Für diesen Anlass verfasste Dipl. Ing. Peter Seibert, Bauoberrat am Staatlichen Hochbauamt / Würzburg, den folgenden Beitrag.

Wachthaus am Zeller Tor
Wachthaus am Zeller Tor

Schräg gegenüber dem alten Zeller Tor, einem Teil der Befestigungsanlage Würzburgs aus dem 17. Jahrhundert, entstand nach Peter Speeths Plänen seit 1813 ein neues Wachthaus. Nachdem das Großherzogtum Würzburg 1814 an Bayern gefallen war, kam es 1815 zum Baustillstand des im Rohbau fertiggestellten Gebäudes. Es setzte ein umfangreicher Schriftverkehr zwischen den Dienststellen in Würzburg und München mit Heranziehung von einigen Gutachten ein, wobei besonders die militärtechnisch unzweckmäßige Situierung bemängelt wurde, die mit den Jahren nach Ende der napoleonischen Kriege jedoch unwichtiger wurde, so dass der Bau schließlich 1824 vollendet werden konnte.

Speeths Bau zeigt das für ein Wacht- oder Zollhaus schon im 18. und vor allem zu Beginn des 19. Jahrhunderts übliche Schema: Eine Säulenvorhalle, entweder, wie bei Speeth, eingebunden in die Fassade oder ihr in ganzer Breite vorgelegt und oft von einem überhöhten und herausgehobenen Mittelbau bekrönt.

Ursprünglich lediglich eine Zutat zum befestigten Stadttor und Unterkunft der Torwache, begannen am Anfang des 19. Jahrhunderts solche Wachthäuser die früheren befestigten Toranlagen, die der Entfestigung der Städte und ihrer wachsenden Ausdehnung zum Opfer gefallen waren, zu ersetzen.

Die frühesten, von einer Befestigungsanlage losgelösten Wacht- und Zollhäuser hat Ledoux zwischen 1784 und 1789 in seinen Barrières für Paris geschaffen, die damit zum Prototyp dieser Bauaufgabe wurden. Die meisten dieser Entwürfe, die auszuführen Ledoux nur zum kleineren Teil vergönnt war, weisen schwere, wuchtige und gedrungene Bauformen auf. Dorische Säulen, schwere Rustika, aus großen Blöcken gemauerte Portiken trifft man an nahezu jedem der Gebäude an.

Ledoux bezeichnete seine Zoll- und Wachthäuser, die gedacht waren an allen Zufahrtsstraßen nach Paris zu stehen, als „Propylées“ und brachte damit deutlich zum Ausdruck, dass er sie nicht nur um des praktischen Zweckes willen errichtet sehen wollte, sondern dass ihm ihre repräsentative Aufgabe mindestens genau so wichtig war. Der Vergleich mit Ledoux‘ Barrières zeigt die Herkunft der Architektursprache Speeths. Er verwendet Ledoux’sche Formen wie Kalotte über quadratischem Unterbau, oder die sog. ordre dorique grèce, sowie das häufig angewandte Motiv von Arkadenfenstern mit Kämpfergesims.

    Die schweren Architekturformen, die ursprünglich der tatsächlichen Stärke der Befestigungsanlagen entsprachen, sind reines Ausdruckmittel geworden. Sie allegorisieren nun weniger die Stärke der Stadt als Festung, sondern haben viel mehr Macht und Größe der Residenzstadt darzustellen. Die Auffassung Ledoux‘ vom Wachthaus als einer repräsentativen Bauaufgabe liegt auch Speeths Bau zugrunde. Er schuf einen prächtigen Stadteingang für das großherzogliche Würzburg, dessen Repräsentationscharakter natürlich umstritten war, als Würzburg zur Provinzstadt herabsank.

    Peter Speeth zählt zu den wenigen deutschen Architekten, die den Forderungen der sogenannten französischen Revolutionsarchitektur „nach einer illustrativen Umsetzung von Inhalt und Funktion in äußere Form gerecht“ wurden. Er bediente sich des von Boullée, Ledoux, Durand und anderen vornehmlich benutzten Formenrepertoirs, das meist in äußerster Klarheit auf einfache stereometrische Grundformen reduziert war.

Gerichtsdienerhaus am Schneidturm, Aufriss, Peter Speeth
Gerichtsdienerhaus am Schneidturm, Aufriss, Peter Speeth

Nachdem Ferdinand III. von Toskana 1806 im Pressburger Frieden Würzburg als Entschädigung für das Kurfürstentum Salzburg zugesprochen bekommen hatte, entschied sich der Günstling Napoleons bewusst für eine politische und kulturelle Bindung an Frankreich. Ein Aspekt dieses frankophilen Klimas am Würzburger Hof ist sicher auch die Übertragung der Planung und Ausführung staatlicher Neubauten an Peter Speeth, dem von seiner untergeordneten Stellung im Hofbauamt her solche Aufgaben nicht zustanden. Ferdinand III. förderte deutlich von Frankreich abhängige Strömungen in der Architektur und machte Würzburg durch die Bauten von Speeth zu einer Enklave der Revolutionsarchitektur. Gebaut wurde Revolutionsarchitektur sonst kaum in Deutschland, auch wenn an mehreren Orten Vertreter dieser Architekturrichtung arbeiteten und entsprechende Projekte entwarfen, wie etwa Coudray in Weimar, Laves in Hannover und Jussow in Kassel.

Gerichtsdienerhaus am Schneidtum, Aufriss, Peter Speeth
Gerichtsdienerhaus am Schneidtum, Aufriss, Peter Speeth

Peter Speeth wurde am 29. November 1772 in Mannheim geboren. Bei seinem Onkel, dem Bauführer Georg Weber erhielt er ab 1784 in Schwetzingen den ersten Unterricht „in der Architekturzeichnung und Baukunst“. 1787 ging er mit seinem Onkel nach Frankfurt, wo er von Nicolas de Pigage als Zeichner angestellt wurde. 1792 war er am Bau des Schmidschen Hauses auf der Zeil beteiligt und führte mehrere Privataufträge aus.

1797 zog Speeth nach Heidelberg, arbeitete an „Grohmanns Ideenmagazin“ mit und veröffentlichte 1803 zusammen mit Georg Primavesi eine Stichfolge mit „Ansichten des Heidelberger Schlosses“. In den gleichen Jahren entstanden die nicht ausgeführten Entwürfe für den Wiederaufbau der Zisterzienserabtei in Engelthal und für ein Kur- und Badehaus für Langenschwalbach im Taunus.

Ab 1804 war Speeth am Fürstlich Leiningenschen Hof in Amorbach als Zeichenlehrer tätig und baute das Wohn- und Geschäftshaus für den Kaufmann Thibault d’Allerit aus. 1806 erhielt er in Frankfurt die Erlaubnis, „öffentlichen Unterricht im architektonischen, als landschaftlichen Fache“ erteilen zu dürfen.

Ab 1807 ist Speeth in Würzburg in den Diensten des Großherzogs Ferdinand von Toskana nachweisbar, zunächst als provisorisch angestellter Zeichner im Großherzoglichen Bauamt und Zeichenlehrer an der Großherzoglichen Zeichenschule, ab 1810 mit einer festen Anstellung als Zeichner und ab 1814 als Zweiter Landbaumeister. In Würzburg entstanden ab 1811 die wichtigsten Bauten Speeths, wie das Zuchthaus bei St. Burkard, das Wachthaus am Zeller Tor, das Direktorhaus der Musikschule, das Gerichtsdienerwohnhaus sowie die Kirche in Unterhohenried.

Als Würzburg 1814 zu Bayern kam, wurde Speeth zunächst in seinem Amt bestätigt, aber 1815 in den Ruhestand versetzt. Trotz mehrerer Gesuche erhielt er keine neue Anstellung und lebte von Privataufträgen und Zeichenunterricht, bis er 1826 vom russischen Staatsrat von Vietinghoff, der das neu gebaute Würzburger Zuchthaus bewundert hatte, nach Russland berufen wurde. Dort baute Speeth die Metropolitankirche in Chișinău, starb aber noch vor ihrer Vollendung 1831 in Odessa als Provinzialarchitekt für Bessarabien.

Zuchthaus bei St.Burkard, Würzburg, Aufriss, Peter Speeth
Zuchthaus bei St.Burkard, Würzburg, Aufriss, Peter Speeth
  • 1811-1812: Wohnhaus Hirsch (Würzburg, Ebracher Gasse 6)
  • 1811-1813: Gerichtsdienerhaus am Schneidturm (Würzburg, Turmgasse 9)
  • 1812-1815: Direktorwohnhaus der Musikschule (Würzburg, Paradeplatz 1)
  • 1813 -1827: Erweiterungsbau des Zuchthauses (Würzburg, Burkardergasse 44)
  • 1813-1817: Katholische Pfarrkirche St. Johann Baptist (Unterhohenried) – Foto
  • 1814-1824: Wachthaus am Zeller Tor (Würzburg, Zeller Straße 45)
  • 1821: Wohnhaus des Landrichters Wirth (Würzburg, Sanderstraße 31)
  • 1830/31 begonnen: orthodoxe Metropolitankathedrale zur Geburt Christi in Chişinău / Moldavien. – Foto